Trainingsplatz im Industriegebiet: Beim Fraunhofer IIS testen Unternehmen ihre 5G-Zukunft

In Nürnberg kann 5G Objekte lokalisieren. Diese und weitere spannende Mobilfunk-Anwendungen erproben Fachleute in einem Testbed – so landet Forschung schnell in der Wirtschaft.

Der Ort, an dem Unternehmen in die Zukunft reisen, wirkt auf den ersten Blick wie eine normale Industriehalle: ein riesiger Raum im Gewerbegebiet im Norden Nürnbergs, 45 mal 30 Meter, etwas mehr als 10 Meter hoch. Hinter einer schweren Tür verbirgt sich das, was dieses vermeintliche Lager so besonders macht: der „Core“. Dieser Kern ist ein Turm aus Rechnern, Kabeln und Beschleunigungskarten. Ein Turm, der hier alles am Laufen hält und der diese Halle zu dem macht, was sie seit 2018 ist: eine offene und herstellerunabhängige Testumgebung für 5G-Anwendungen.

Informatiker Matthias Frei arbeitet in den Tiefen der Technik: Das 5G-Campusnetz steht für interessierte Unternehmen als Testfeld bereit.
Informatiker Matthias Frei arbeitet in den Tiefen der Technik: Das 5G-Campusnetz steht für interessierte Unternehmen als Testfeld bereit.
StMWi/Quirin Leppert

Das sogenannte Testbed am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS gehört zur Initiative 5G Bavaria, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Unternehmen und Forschungseinrichtungen können hier ausprobieren, was 5G ihnen ermöglicht, wo die Grenzen liegen, und was es braucht, damit es bestmöglich funktioniert. Die Halle und der Außenbereich davor sind eine Schnittstelle zwischen Forschung und Anwendung. Innovationen erwachen hier zum Leben. Thomas von der Grün, einer der Projektleiter von 5G Bavaria, sagt: „Ich bin stolz, dass wir die Mission, mit der wir vor ein paar Jahren gestartet sind, so gut erfüllen können.“

5G-Campusnetz liegt ganz in den Händen des Betreibers

Im Testbed ist ein 5G-Campusnetz installiert. Ein solches privates Mobilfunknetz liegt komplett in den Händen seines Besitzers – das kann ein Unternehmen sein oder in diesem Fall das Fraunhofer IIS. Die Daten bleiben im eigenen Netz und können direkt vor Ort verarbeitet werden. Beim Nürnberger Netz kommt eine Besonderheit hinzu: Die technischen Komponenten, also Basisstationen, Server und Antennen, stammen von verschiedenen Herstellern. Nur die Schnittstellen sind fest vorgegeben. Die Idee: unabhängiger von einzelnen Anbietern zu sein und Wettbewerb zu schaffen; Open RAN wird das genannt.

Zwei Ermöglicher: Diplomingenieur und Elektrotechniker Thomas von der Grün (links) und Elektroingenieur Tobias Dräger forschen und arbeiten eng mit der Wirtschaft zusammen.
Zwei Ermöglicher: Diplomingenieur und Elektrotechniker Thomas von der Grün (links) und Elektroingenieur Tobias Dräger forschen und arbeiten eng mit der Wirtschaft zusammen.
StMWi/Quirin Leppert

Das Team um Thomas von der Grün hat drei Hauptaufgaben:

  1. Es forscht an 5G-Technologien und welches Potenzial sie haben.
  2. Es entwickelt Anwendungen, die Menschen und Wirtschaft voranbringen.
  3. Es wirkt an neuen technischen Standards im Mobilfunk mit. Etwa alle eineinhalb Jahre veröffentlicht ein internationales Expertengremium eine neue Version, einen sogenannten Release.

Im 5G Bavaria Testbed dürfen Unternehmen experimentieren

„Bis ein neuer Standard aus der Forschung auf dem Markt ist, dauert es“, sagt Thomas von der Grün. „Wir wollen diese Lücke schließen, wollen den Unternehmen ermöglichen, schon jetzt zu testen, ob 5G etwas für sie ist.“ Das Fraunhofer IIS tut dies vor allem aus einem Grund: damit Unternehmen schneller sind mit ihren Innovationen. „Innovation entsteht nur, wenn Unternehmen verstehen, was sie mit 5G machen können“, sagt von der Grün.
Zum Verstehen kommen bayerische Mittelständler hierher, aber auch Großunternehmen und weltweit tätige Konzerne. Manche testen einen halben Tag, andere Wochen oder gar Monate. Sie tun das unter realistischen Bedingungen. Dafür kann sich die Halle wandeln: In ihr kann eine Fertigungsstraße aufgebaut werden, 40-Tonner können über Verladetore hineinfahren, Drohnen darin herumfliegen. Und die Halle kann mit schwarzen Jalousien völlig abgeschottet werden, so dass niemand sieht, was die Unternehmen hier testen, was sie planen – wie sie sich ihre Zukunft vorstellen.

Regale, Paletten, Gabelstapler: Das Testbed von 5G-Bavaria ist eine echte Industriehalle.
Regale, Paletten, Gabelstapler: Das Testbed von 5G-Bavaria ist eine echte Industriehalle.
StMWi/Quirin Leppert

Neue 5G-Versionen ermöglichen Lokalisierung von Objekten

Eine der nachgefragtesten 5G-Anwendungen in Nürnberg ist die Lokalisierung von Gegenständen mittels Funksignalen. Lokalisierung ist so etwas wie das Herzensthema des promovierten Elektroingenieurs Jochen Seitz. Seit 16 Jahren arbeitet er im Team mit daran, und er ist stolz darauf, sagen zu können, dass sie hier die ersten weltweit sind, die ein normales Mobiltelefon punktgenau lokalisieren können – mithilfe von 5G. Eine Technologie, die durch Synergien vielfältigere Anwendungen ermöglicht als viele andere Ortungsmöglichkeiten.
Die Genauigkeit, mit der bestimmte Dinge geortet werden können, steigt mit jedem 5G-Release. Aktuell ist Release 15 bereits in kaufbare Produkte integriert, 16 und 17 sind größtenteils entwickelt. Am Fraunhofer IIS arbeiten sie aber bereits mit am Release 18. Unternehmen können die neue Genauigkeit für sich nutzen. Die Technologie kann etwa helfen, Unfälle zwischen Menschen und selbstfahrenden Robotern zu vermeiden oder Produktionsprozesse zu harmonisieren und zu beschleunigen. In einem bald startenden europäischen Forschungsprojekt möchte zum Beispiel eine Eisenbahngesellschaft damit in einer modernen Wartungshalle unter anderem schwere Bauteile von Güterzügen lokalisieren.
 

Wo befindet sich das Handy? Jochen Seitz kann über das 5G-Netz Objekte lokalisieren – etwa dieses Handy. Zum Testen fährt es auf dem Roboter durch die Halle.
Wo befindet sich das Handy? Jochen Seitz kann über das 5G-Netz Objekte lokalisieren – etwa dieses Handy. Zum Testen fährt es auf dem Roboter durch die Halle.
StMWi/Quirin Leppert

Das Lokalisieren funktioniert so: Mehrere Antennen senden Signale und je nachdem, wie lange sie bis zu dem Objekt brauchen, errechnet ein Computer, wie weit es entfernt ist. Nimmt man mehrere Signale zusammen, kann festgestellt werden, wo sich das Objekt im Raum befindet. Dabei kommt auch künstliche Intelligenz zum Einsatz: Der Computer erlernt anhand von Messdaten die Signalausbreitung in der Umgebung und nutzt anschließend dieses Wissen für die Ortung. Das macht die Ortung genauer und zuverlässiger. Um zu prüfen, wie gut es mit der Lokalisierung über 5G klappt, hat das Fraunhofer IIS Referenzsysteme aufgebaut, zum Beispiel ein Lasermesssystem und Kameras an der Balustrade, die um die Halle herumführt.

Paletten, Kisten, Boxen: Es sieht aus wie eine echte Industriehalle

Für möglichst realistische Bedingungen stehen in der Halle mehrere Meter hohe blaue Metallregale. Sie sind voller Holzpaletten, Plastikkisten und Gitterboxen aus Metall. Es gibt mobile Wände: auf der einen Seite weiß und glatt, dort werden die Mobilfunkstrahlen reflektiert, und auf der anderen Seite schwarz und weich, dort werden die Strahlen absorbiert. All diese Dinge sind wichtige Statisten: In jeder Industrieumgebung gibt es unzählige Gegenstände, die Mobilfunk beeinflussen.

Neben der Lokalisierung gibt es weitere Anwendungen, die das Fraunhofer IIS in Nürnberg anbietet. Diplomingenieur und Elektrotechniker Tobias Dräger hält eine schwarze Box in der Hand: Es ist ein Sensor, der Daten sammelt, dann über Mobilfunk versendet, dafür aber weder Stromanschluss noch regelmäßig neue Batterien benötigt. Der Sensor versorgt sich selbst mit Energie aus der Umwelt. Zum Beispiel an einer Heizung installiert, erzeugt das Gerät Energie aus der Temperaturdifferenz zwischen Heizungsrohren und Umgebungstemperatur. „Das ist perfekt für Orte, wo man Daten erfassen möchte, aber schlecht hinkommt und keine Kabel verlegen kann“, erläutert Dräger. Mögliche Einsatzbereiche? Güterwaggons, Messpunkte in der Natur, Bewässerungssysteme – und das sind nur einige Ideen. „Unsere Aufgabe ist es, Sachen möglich zu machen“, sagt Dräger.

Forscher testen auch Gesichtserkennung und Edge Computing

Ein paar Meter weiter haben Informatiker Matthias Frei und Kollegen das Modell einer Fertigungsstraße aufgebaut, mit einem Tablet, das eine Gesichtserkennungssoftware hat. Bedienen kann das Modell nur, wer von der Software als berechtigt erkannt wird. „Mit 5G passiert das so schnell und zuverlässig, dass es wirklich funktioniert“, sagt Frei.
Der Informatiker spricht von Multi-Access Edge Computing – die Geräte im Feld sind dabei ressourcenarm, die Verarbeitung findet an der Edge, also der Kante des Netzes, statt. Hierzu müssen die Daten nicht in eine Cloud geschickt werden, sondern werden nah am Endgerät verarbeitet. Die kürzere Reisezeit der Daten beschleunigt die Datenverarbeitung.

Wenn Unternehmen aus Bayern, Deutschland und der Welt nach Nürnberg in die Testhalle kommen, sind stets Experten des Fraunhofer IIS dabei. Wenn daraus ein Projekt wird, begleiten sie es ein Stück des Weges. Und freuen sich, wenn die 5G-Anwendung im Unternehmen ankommt. „Es geht darum, sich für die Zukunft aufzustellen“, sagt Thomas von der Grün. Und fügt hinzu: „Wir wissen, wohin die Reise geht.“