Smarter ins Stadion: 5G leitet Menschen durch die Münchner U-Bahn

Eine Forschungsgruppe der Hochschule München analysiert Personenströme über 5G-Mobilfunk. Dank ihrer Forschung sollen Menschenmassen bald Live-Empfehlungen empfangen, wie sie Gedränge im öffentlichen Nahverkehr vermeiden können.

Fußballfans sind auf dem Weg ins Stadion. An der Münchner Freiheit steigen sie aus dem Bus, wollen nun weiter mit der U-Bahn in Richtung Allianz Arena. Es ist Samstag, das Wetter schön, die Stadt voll. Die Gruppe steuert den nächsten U-Bahn-Eingang an – genauso wie viele andere mit ihnen. Da meldet sich das Smartphone eines Fans: Es weist den Weg zu einem anderen Eingang, mit dem Hinweis: „Bitte benutze diese Route, um Gedränge zu vermeiden.“ Die Gruppe dreht um, läuft ein Stück die Leopoldstraße hinauf und dann eine Betonrampe hinunter zur U-Bahn – ohne Gedränge.

So könnte es in Zukunft aussehen, wenn das Wirklichkeit wird, was ein Forschungsteam an der Hochschule München in den vergangenen Jahren untersucht hat. „Mich hat es wirklich überrascht, dass wir die Leute so gut erreichen und dass sie sogar einen Umweg in Kauf nehmen, um die Sicherheit für alle zu verbessern“, sagt die junge Wissenschaftlerin Christina Mayr.

5G leitet Menschen durch die Münchner U-Bahn
Christina Mayr und Stefan Schuhbäck sehen sich vor Ort an, auf welchen Wegen sich die Menschen in der U-Bahn-Station Münchner Freiheit bewegen.
Hochschule München / Johanna Weber

Die Doktorandin Mayr ist eine von vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die seit 2017 an der Hochschule München im Fachbereich Informatik an einem interdisziplinären Projekt arbeiten. Mayr und die Professorin Gerta Köster beschäftigen sich mit Personenstromanalysen. Sie schauen sich an, wie sich Menschenmassen in der Wirklichkeit bewegen. Professor Lars Wischhof und der Doktorand Stefan Schuhbäck forschen im Bereich Mobilfunk. Zusammen bilden die vier eine Forschungsgruppe, ihr Projekt heißt roVer. Das steht für: leistungsfähigere Verkehrsinfrastrukturen durch robuste Vernetzung.

5G-Daten lassen Bayern-Fans sicher reisen

Ziel des Projektes ist es, das Verhalten von Menschenmassen über Live-Mobilfunkdaten zu beobachten und zu lenken. Ganz konkret: zu untersuchen, wie sich große Gruppen von Fußballfans auf dem Weg in die Allianz Arena an der Münchner Freiheit verhalten. Das Forschungsteam nutzt dazu eine neue Fähigkeit der 5. Mobilfunkgeneration: Jedes einzelne Handy, das über 5G verfügt, kann auf direktem Wege mit den anderen Handys im Umkreis Daten austauschen. Auf Basis dieser Daten lassen sich sogenannte Dichtekarten erstellen, die zeigen, wo sich im Moment besonders viele Menschen bewegen – und wo es weniger sind. Und im besten Falle lassen sich die Menschen über eine App auf ihrem Smartphone dorthin lenken, wo weniger los ist.

5G-Daten lassen Bayern-Fans sicher reisen
Am Rechner erarbeitet das Forschungsteam sogenannte Dichtekarten, die zeigen, wo besonders viele Menschen unterwegs sind.
Hochschule München / Johanna Weber

Gerta Köster sieht einen konkreten Nutzen: „Die Fußballfans sind sicherer und schneller auf ihrem Weg ins Stadion, sie stehen nicht lange an einer Engstelle und warten.“ Verkehrswege werden somit entlastet. Und das wiederum erhöht die Sicherheit für alle. Gerta Köster sagt: „Uns ist es wichtig, dass unsere Forschung auch für die Anwendung interessant ist. Wir wollen raus aus der wissenschaftlichen Blase.“

Handy-zu-Handy-Kommunikation entlastet den Nahverkehr

Raus aus der Blase, rein in den öffentlichen Nahverkehr: An der Haltestelle Münchner Freiheit in Schwabing kommen Fahrgäste mit vier Buslinien an, die Trambahn 23 fährt an der Oberfläche, die U-Bahn-Linien 3 und 6 im Untergrund. Die U6 fährt bis zur Allianz Arena, deshalb ist die Münchner Freiheit an Tagen mit Fußballspielen in München regelmäßig überlastet. Das Problem: Die meisten Menschen, die hier ein- oder aussteigen, nutzen vor allem einen Zugang. Obwohl es sieben davon gibt.

Handy-zu-Handy-Kommunikation entlastet den Nahverkehr
Christina Mayr und Stefan Schuhbäck versuchen zu verstehen, warum es an manchen Stellen eng wird und an anderen nicht.
Hochschule München / Johanna Weber

Die Forschungsgruppe hat selbst an der Münchner Freiheit Personen gezählt. Von den Stadtwerken München, einem der Projektpartner, hat die Gruppe außerdem Daten von Spieltagen erhalten. Diese Daten haben sie zusammengeführt. Und hier kommen Lars Wischhof und Stefan Schuhbäck ins Spiel. Denn für dieses Projekt sind nicht die absoluten Zahlen wichtig. Von Bedeutung ist vielmehr, an welchen Stellen sich besonders viele Menschen gleichzeitig aufhalten. Diese sogenannte Personendichte lässt sich mithilfe von 5G ermitteln.

5G bietet anonyme Alternative zur Videoauswertung

Über eine Technologie namens Sidelink kommunizieren 5G-fähige Handys miteinander. „Wir konnten nachweisen, dass die Idee, die Dichteinfo über direkten Austausch an Daten unter den Netzteilnehmern zu bekommen, wirklich funktioniert“, sagt Gerta Köster. So lässt sich zum Beispiel eine Übersichtskarte erstellen, auf der deutlich zu sehen ist, an welchem Eingang der Haltestelle Münchner Freiheit es sich staut und wo weniger los ist.

Lars Wischhof ergänzt: „Das Tolle an dieser Technik ist, dass wir anonym messen, ohne dass man ein Messsystem aufbauen muss, und ohne private Daten zu übertragen.“ 5G ist hier eine Alternative zu Personenzählungen oder auch zu Videoauswertungen.

5G-Sidelink kommt aus dem Labor in die Realität

Wichtig zu erwähnen ist: Die 5G-Sidelink-Technik, mit der die Forschungsgruppe arbeitet, ist noch nicht eingeführt. Weil es aber bereits Standards dazu gibt, also bekannt ist, wie die Technik funktionieren wird, können die Wissenschaftler damit bereits experimentieren. Das Ganze sei aber auch keine Technik aus einer fernen Zukunft, sagt Lars Wischhof. Technisch wäre solch eine Anwendung ab dem Jahr 2024 möglich.

Von der Technik zurück zu den Menschen: Im nächsten Schritt sollen die Fahrgäste motiviert werden, sich so auf die verschiedenen Ein- und Ausgänge zu verteilen, dass es gar nicht erst zu Engpässen kommt. Wie man das am besten macht, hat das Team in einer Befragung von 1.000 Fans und 500 Studierenden und Hochschul-Mitarbeitenden ermittelt. Die Ergebnisse wurden in Zusammenarbeit mit einer britischen Psychologin ausgewertet.

Forschungsteam plant eine App für Routenplanung

 „Wir haben herausgefunden, dass die Leute besser mitmachen, wenn wir ihr Teamgefühl ansprechen“, erzählt Christina Mayr. Und noch ein Aspekt wurde klar: „Wenn die Menschen wissen, warum sie etwas tun sollen, dann machen sie es auch.“ Sie gehen den Umweg also eher, wenn sie neben der Aufforderung eine Karte auf dem Display ihres Smartphones sehen, die zeigt: An diesem Eingang zur U-Bahn wird es eng. An dem anderen sind nur wenige Menschen.

Das Forschungsprojekt läuft noch bis September 2023 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das Team hofft auf ein Anschlussprojekt. Sie würden gerne weiter erforschen, wie sich Fußgänger bewegen und leiten lassen, und eine App entwickeln, die den Menschen auf Basis von 5G live bessere Routen vorschlägt. „Das ist eine wirklich vielversprechende Technologie“, sagt Gerta Köster. „Dieses große Potenzial wollen wir heben.“