Die Maschine brummt. Riesige Walzen drehen sich so schnell, dass mit bloßem Auge nichts zu erkennen ist. Wasser spritzt, es ist warm, die Luft ist feucht. Läuft die Maschine, produziert sie Papier, 400 Tonnen pro Tag. Steht sie still, kostet das Geld. Im kommenden Jahr soll die Papierfabrik Trostberg deshalb ein privates 5G-Netz bekommen, ein sogenanntes 5G-Campusnetz. Die Maschine wird dann noch genauso brummen wie jetzt. Aber wenn alles gut läuft, werden die Walzen seltener stillstehen – die Produktivität steigt. Und die 180 Mitarbeiter sollen es leichter haben.
Ein 5G-Campusnetz ist sicher und effizient
Am Fluss Alz in Trostberg im oberbayerischen Landkreis Traunstein steht seit dem Jahr 1912 eine Papierfabrik, gegründet hat sie damals Johann Rieger. Heute gehört sie zur Prinzhorn Group, einem internationalen Unternehmen mit sieben Papierfabriken, 20 Produktionsstätten für Verpackungen und Recycling-Firmen. Vor eineinhalb Jahren beschloss das Unternehmen, auf 5G zu setzen. „Wir versprechen uns davon ein sehr sicheres Netz für unsere Betriebe, mit sehr guter Abdeckung. Nur unsere Mitarbeiter haben auf das 5G-Campusnetz Zugriff, wir können jedes Gerät kontrollieren“, sagt Michael Krumay von der Prinzhorn Group. Alle Prinzhorn-Papierfabriken in Europa werden umgestellt. Trostberg startet 2023 ins 5G-Zeitalter, den Anfang macht 2022 der Standort Pitten in Österreich.
Was genau wird 5G verändern? Ein Blick auf den Hof der Papierfabrik verdeutlicht es. Dort türmen sich tonnenschwere Ballen mit unterschiedlichen Altpapiersorten. Gabelstaplerfahrer Murat Duyar nimmt zum Beispiel zwei Ballen weißes Papier, einen Ballen buntes, einen Ballen braunes. Wie viel von welcher Sorte er mit seinem Gabelstapler vom Hof nimmt und auf das Förderband in der ersten Fabrikhalle wuchtet, das unterscheidet sich, je nachdem, welche Papiersorte sie in Trostberg gerade produzieren. Michael Krumay spricht von einem „Rezept“ und sagt: „Die Qualität unseres Papiers wird hier gemacht.“ Je genauer sich Murat Duyar und seine Kollegen an das Rezept halten, desto besser ist die Qualität des Produkts. Und 5G wird Duyar genau dabei unterstützen.
Mit 5G weiß der Staplerfahrer schneller, was zu tun ist
Duyar bekommt bald ein Tablet mit einem Warenwirtschaftssystem auf seinen Gabelstapler. Wird das Altpapier mit dem LKW geliefert, erfasst das System, wo welche Ballen abgelegt werden. Duyar kann dann auf seinem Tablet sehen, welche Ballen er nehmen muss, um das Rezept zur Papierherstellung genau einzuhalten. Den bunten Ballen rechts unten oder lieber den bunten in der zweiten Reihe links. Je nach Gewicht der Ballen wird das automatisch berechnet. Am Ende werde dies die Herstellung besser und zugleich günstiger machen, sagt Michael Krumay. „Wir wollen das Papier genau so weiß machen, wie unser Kunde es braucht.“ Aber nicht weißer, denn: Das leuchtend weiße Altpapier ist das teuerste auf dem Markt und außerdem nur sehr begrenzt verfügbar. Und das Altpapier ist der größte Kostenfaktor in einer Papierfabrik.
„5G ist keine Raketentechnologie“, sagt Stefan Wimmer. „Das ist die Mobilfunktechnologie unserer Zeit.“ Wimmer ist Geschäftsführer des Unternehmens BAYFU aus Kolbermoor bei Rosenheim. Die Abkürzung steht für Bayerische Funknetz GmbH. Wimmer und seine Kollegen beraten und begleiten europaweit Unternehmen auf dem Weg in die Digitalisierung und beim Umstieg auf 5G. Die Prinzhorn Group habe sich für 5G entschieden, weil es im Vergleich zu WiFi (WLAN) nennenswerte Vorteile biete, sagt Wimmer. Zum einen, und das zeigten alle Beispiele von Mandanten, sei 5G einfach günstiger als WiFi. Auch die Mobilität, also der unterbrechungsfreie Wechsel von Funkzelle zu Funkzelle, sei sichergestellt – etwa wenn der Gabelstapler über das Außengelände fährt.
Darüber hinaus sei Unternehmen wichtig, dass nicht ein Bit an Informationen mit einem 5G-Campusnetz das Betriebsgelände verlassen muss. „Das schützt zum Beispiel vor Industriespionage und erhöht die Effektivität nachhaltig“, sagt Wimmer. Und 5G-Netzwerke ermöglichten es, sie jederzeit flexibel und agil und somit sehr kosteneffizient anzupassen, Kapazitäten genau dort zu erweitern, wo sie gebraucht werden. Wenn dann alles steht, können Unternehmen ihre Netze auch selbst betreiben. Nur in der Konzeptionierung sei Mobilfunk-Knowhow nötig.
30 bis 40 kleine 5G-Antennen sollen die Papierfabrik versorgen
Für die Prinzhorn Group hat BAYFU die nach eigenen Angaben EU-weit größte Ausschreibung in diesem Bereich gestartet, 26 Lieferanten einbezogen und elf Angebote für Glasfaserkabel, Antennen, Server, das Kernnetz und Frequenzen bekommen. „Wir kennen jetzt den Markt in allen Ausprägungen sehr gut“, sagt Wimmer. Mit seinem Team startet er nun die Planungen für das autarke 5G-Netz der Papierfabrik in Trostberg. Sie werden prüfen, wo genau die Antennen angebracht werden müssen, damit alle Grenzwerte zum Schutz von Personen eingehalten werden und gleichzeitig eine gute Netzabdeckung erreicht wird.
Je mehr Stahl verbaut ist, desto schwieriger wird es, sagt Wimmer, und zeigt auf die Treppen aus Gitterrosten, auf die Rohre und Maschinen. Stahl reflektiert die Funksignale, Papier und Beton schirmen ab. „In der Papierfabrik ist die Funknetzplanung echt eine Herausforderung.“ Zwischen 30 und 40 Antennen werden sie brauchen, um in der Papierfabrik Trostberg ein 5G-Campusnetz aufzubauen, schätzt Stefan Wimmer.
Wenn die Maschine steht, hilft 5G bei der Reparatur
Ein paar Stufen auf einer Gitterrosttreppe führen vom Förderband nach oben, das Papier wird jetzt zerfetzt und eingeweicht. Dort zeigt der Chef der Papierfabrik Trostberg, Georg Voit, auf einen Motor. „Wenn dieser Motor defekt ist, sieht der Mitarbeiter erst vor Ort, welche Art von Motor das ist.“ Er muss dann ins Büro laufen, prüfen, ob ein Ersatzteil auf Lager ist, und wenn ja, wo das liegt. Keine leichte Aufgabe, denn sie haben hier immerhin 12.000 Ersatzteile gelagert.
Mit 5G könnte der Mitarbeiter schon bei der Fehlermeldung erfahren, um welchen Motor es sich handelt und mithilfe eines Trackingsystems sehen, wo das Ersatzteil liegt. Und das System könnte automatisch neue Ersatzteile bestellen, wenn sie zur Neige gehen. „5G wird den Arbeitsfluss leichter machen“, sagt Voit. Ein Lagerverwaltungssystem, Schaltpläne, Wartungspläne – das alles werden die Mitarbeiter dann auf Tablets haben, sie können digitale Checklisten abhaken, die für jeden Kollegen einsehbar sind.
Dank 5G laufen alle Informationen digital zusammen
Schon jetzt zeigen Durchflusssensoren an, wie weiß das Papier-Wasser-Gemisch ist, ob Murat Duyar noch einen Ballen farbiges oder weißes Papier nachlegen muss. Die Infos aber sind nur vor Ort oder im Leitstand abzulesen. Mit 5G würden die Informationen auf den Tablets der Mitarbeiter zusammenlaufen. Sie könnten Formulare digital ausfüllen und absenden, und sie könnten dann auch im Betrieb telefonieren, mit Kopfhörern, die in die Headsets eingebaut sind. Das funktioniert im Moment nur eingeschränkt, denn in den Schalträumen im Keller gibt es kaum Netz und die Papiermaschine ist laut. „Das klingt nach Kleinigkeiten“, sagt Michael Krumay. „Aber diese Kleinigkeiten werden den Alltag für unsere Mitarbeiter deutlich erleichtern und damit auch den Unternehmenserfolg nachhaltig sichern.“
Gerade brummt die Papiermaschine wieder, auf 350 Metern verwandelt sie das aufgelöste Altpapier in hochwertiges neues Papier. Sie spritzt das Wasser-Faser-Gemisch auf Siebe, saugt das Wasser ab. Walzen pressen noch mehr Wasser heraus, die Papierbahn wird fester, wird getrocknet auf Stahlzylindern, die von innen mit Dampf beheizt werden. Die Oberfläche ist mehr als 100 Grad heiß. Wie ein Bügeleisen funktioniere das, sagt Georg Voit. Das Papier wird gestärkt, geglättet, weiß gestrichen, auf Tamboure gerollt, auf Kartonhülsen gewickelt, zugeschnitten und verpackt.
Tablets lösen bald die Notizbücher ab
Roboterarme verpacken eine Rolle mit 7.800 Metern Papier und einem Gewicht von 2.682 Kilogramm. Da leuchtet plötzlich eine rote Lampe auf, ein Warnton piept durch die Lagerhalle, Michael Kaltenbrunner kommt angelaufen. Er guckt auf den Rechner, der neben dem Verpackungsbereich steht, betätigt einen Hebel, die Verpackungsmaschinen stehen still. „Ein Papierstau, nichts Wildes“, meint Kaltenbrunner. Er zieht das überschüssige Papier aus der Verpackungsanlage heraus, verlässt den Roboterbereich, schließt die Sicherheitstür, betätigt einen Hebel, und die Roboter verpacken weiter. Neben dem PC liegt ein kariertes Notizbuch, darin tragen Kaltenbrunner und seine Kollegen größere Probleme ein. Den Papierstau notiert er nicht. Aber er findet, das Heft, das gehöre modernisiert, digitalisiert. Und steigt wieder auf seinen Gabelstapler.